Genießen kann man lernen

Im Piemont steht Italiens erste Genuss-Universität, denn hier haben sich Traditionen länger und unverfälscht gehalten, vor allem die kulinarischen.

Hier kommen edle Weine her wie Barolo, Barbaresco und Moscato. Außerdem ist das Piemont bekannt für sein zart schmelzendes Nougat, den exquisiten Käse und die vorzüglichen Trüffeln. Doch man muss nicht unbedingt sündhaft teure Spezialitäten auf dem Tisch haben, um genießen zu können. Auch eine Scheibe frisches Brot, dazu köstliche Butter, Schnittlauch und ein trockener Weißwein – auch das kann der kulinarische Himmel auf Erden sein...

 

Die Wissenschaft vom Essen

Mitte der 80er-Jahre entstand in Italien die Slow-Food-Bewegung. Eine Bewegung, die sich das bewusste Genießen auf die Fahnen geschrieben hat: Ihre Anhänger ziehen heimische Produkte internationalen Importen vor, greifen statt zu Industrieprodukten lieber zu regionalen Lebensmitteln. Dies Haltung hat auch in Deutschland immer mehr Freunde gefunden.

Zum Genießen gehört eben auch, die Köstlichkeiten der regionalen Küche zu bewahren und einem globalen Artenschwund entgegenzuwirken. Diese neue Philosophie hat sich mittlerweile zu einer weltweiten Bewegung mit mehr als 100.000 Mitgliedern entwickelt. Slow Food unterstützt auch Produzenten in Entwicklungsländern.

Das Verlagsprogramm von Slow Food Editore bietet inzwischen etwa hundert Titel. Am bekanntesten sind die kulinarischen Ratgeber „Osterie d'Italia“ und „Slow Wine“, die alle zwei Jahre in aktualisierter Form neu aufgelegt werden.

Im Oktober 2004 hat Slow Food in Pollenzo (Italien) die weltweit einmalige Universität der Gastronomischen Wissenschaften eröffnet. Das Studienangebot in Grund-, Aufbau- und Masterstudiengängen verbindet geistes- und naturwissenschaftliche Kurse mit Sinnesschulung und Praxiserfahrung auf Reisen in alle Welt. Studenten aus aller Welt sollen hier zu Kennern und Förderern des kulinarischen Wissens ausgebildet werden. Allerdings weniger im Kochen und im Weinbau, sondern im Wissen über die kulturellen Grundlagen von Speisen und Getränken.

Für Normalsterbliche ist dieser Studiengang allerdings wohl kaum zugänglich. Beworben haben sich vor allem Leute, die sowieso schon festen beruflichen Boden unter den Füßen haben: Food-Journalisten, Marketingfachleute, Nahrungsmittelhersteller und Bauernverbandsfunktionäre. Diesen Leuten ist es wohl am leichtesten möglich, die jährlich fällige fünfstellige Studiengebühr aufzubringen. Diese Gebühr beinhaltet Unterbringung, Verköstigung, Vorlesungen, Seminare, Reisen. Es soll allerdings auch Stipendien geben.

 

Praktische Ausbildung bei Bauern und Köchen

Nur im Hörsaal sitzen und in Vorlesungen Wissen mitschreiben – das gibt es hier nicht. Es stehen etliche Praktika bei Bauern, Winzern, Brauern und Köchen aus aller Welt auf dem Programm. Der italienische Staat hat bereits angekündigt, den anspruchsvollen Abschluss anzuerkennen. Die Studenten werden die Uni also als Master oder Dottore verlassen.

Sie werden dazu beitragen, dass die Genussfähigkeit der Menschen nicht mit der Zeit verloren geht. Dabei verlangt jedoch niemand, dass man stundenlang einkauft und kocht, um zu genießen. Es geht darum, sich wieder bewusst zu werden, wie etwas schmeckt und es geht auch darum, die Angebote aus der Region wieder mehr zu würdigen. Viele Menschen kennen mittlerweile Speisen aus fremden Kulturen besser als die einheimischen. Offenbar sind gerade die Deutschen zu wenig stolz auf das, was im eigenen Land produziert wird. Derzeit läuft dazu sogar ein Projekt an der Universität Oldenburg. Man möchte unter anderem herausfinden, weshalb die regionalen Speisen und Produkte nicht eine solche Wertschätzung erfahren wie beispielsweise in Frankreich. Und man möchte herausfinden, wie man eventuelle Barrieren durchbrechen kann, ohne belehrend zu sein.

 

Schmecken ist vor allem Riechen

Der menschliche Fötus nimmt schon über die Nabelschnur Geschmacks- und Geruchsstoffe des Speiseplans der Mutter auf. Die meisten Düfte jedoch lernt ein Kind erst nach der Geburt kennen und lieben bzw. abzulehnen. Mit zunehmendem Alter gewinnen wir aber auch an Geruchserfahrung. Wir können verdorbene Speisen von frischer Ware unterscheiden, wir sind alarmiert, wenn es im Haus plötzlich angebrannt riecht und wir können uns (meist) zügeln, wenn wir während einer Diätphase Apfelkuchen-Duft wahrnehmen. Menschen, die ihren Geruchssinn verloren haben – durch eine Krankheit oder durch einen Unfall – erscheint jedes Essen fad. Fast jeder hat schon einmal vorübergehend diese Erfahrung gemacht: Wenn man einen starken Schnupfen hat, schmeckt man so gut wie nichts mehr.

 

Zum Genuss gehört Langsamkeit

Hinter der Slow-Food-Bewegung verbirgt sich auch so etwas wie eine Genuss-Schule. Die Menschen sollen ohne erhobenen Zeigefinger wieder dahin geführt werden, dass sie alle ihre Sinne einzusetzen verstehen. Es geht nicht um Ernährungsratschläge. Denn bewusstes Essen bedeutet für viele Menschen nicht etwa genussvolles Essen, sondern es geht nur noch um die Fragen: Ist das gesund? Macht das dick?

Wir haben ein bisschen verlernt, bei Speisen zu differenzieren, ob sie nur satt macht oder ob sie uns persönlich auch wirklich richtig gut geschmeckt hat. Häufig thront der Gesundheits- oder Schlankheitsaspekt über allem. Wer jedoch wieder mit geschärften Sinnen durch die Welt geht, wird nicht nur sein Essen ganz anders „schmecken“, sondern sein ganzes Leben.

www.slowfood.de